Sobald Gott deine Türschwelle erreicht, Bete zu seinen Füssen in jeder Stille-Lücke.
Paradoxerweise ist es Gott in diesem Gedicht, der den Gottliebenden in seinem eigenen Haus aufsucht. Höflich, wie ein Gentleman, wartet Gott an der Türschwelle auf die Einladung einzutreten. Hier hat Sri Chinmoy bewußt ein zusammengesetztes Substantiv, wie z.B. ‚Herz – Türschwelle‘ vermieden. Er macht dadurch die Ankunft Gottes mit seinem mehr wortwörtlichen Gebrauch realistischer. So als ob Gott plötzlich in einer soliden, greifbaren physischen Form erscheinen würde. Er ersinnt die Unvermeidbarkeit seiner Ankuft mit seinem ersten Wort — nicht ‚wenn‘, sondern ’sobald‘ .
Wie soll dann der Suchende auf diesen unerwarteten Gast reagieren? Der Poet antwortet, ‚Bete zu seinen Füssen‘, d.h. also sich selbst Gott zu Füssen werfen, vor Gott in Demut verfallen. Alles andere wäre zu gewöhnlich, zu unpassend, zu wortreich. Man winkt Gott nicht zu sich heran, oder grüßt ihn vertraut mit Händeschütteln oder behandelt ihn andersweitig wie ein anderen Menschen.
Vielleicht weist Sri Chinmoy auch darauf hin, daß Gottes Leuchtkraft so stark ist, daß der Suchende die Erfahrung Gottes in seiner leuchtenden Form mit dem Blick nicht standhalten könnte, sondern die Augen zum Boden richtet. Zusätzlich zu der Unterwerfung bietet der Poet noch einen auralen Rat, um diesen perfekten Moment der Vereinigung zu vervollständigen: ‚Bete zu seinen Füssen/in jeder Stille-Lücke.‘ Mit anderen Worten im stillsten Moment inständig zu Gott beten. Beten muß nicht unbedingt das Anflehen Gottes um etwas sein. Beten kann auch Preisung sein, wie es offensichtlich in diesem Gedicht der Fall ist. Beten ergießt sich aus der Fülle des Herzens, aus seiner überschäumendenVerehrung Gottes.
Das abschließende zusammengesetzte Hauptwort ‚Stille-Lücke‘ ist sicher eines der schönsten Kombinationen des Poeten. Es umgibt die Ankunft Gottes mit einer atemlosen, erwartungsvollen Atmosphäre. Nicht nur das, sondern es scheint das hinter dieser materiellen Welt, beinahe im Raum befindlich, Lücken sind, hinter denen sich die spirituelle Welt von selbst auftut.
Auf einer Ebene kommt Gott gerade an der Türschwelle des Suchenden an. Wenn wir nur unsere Augen und Ohren vom Beschlag befreien könnten. Wir strengen uns an, um seine Schritte zwischen den Stille-Lücken mitzubekommen, um den geringsten Ton von ihm an der Tür zu hören. Dies ist die gespannte Erwartung, in der uns der Poest zurückläßt.
In dem er den Leser direkt anspricht, hat uns der Poet viel intimer und unmittelbarer einbezogen, als wenn er das Gedicht aus der dritten Position oder aus eigener Sicht geschrieben hätte. Und dies ist wohl die Essenz von Sri Chinmoy’s Poesie— es streckt sich aus, um unsere Leben zu berühren und zu wandeln, damit wir uns erweitern, so daß wir uns nach oben ausrichten, um eigene Erfahrung unseres höheren Selbst zu machen und ein tieferes Verständnis und tiefere Weisheit erlangen.
Der Erfolg dieser kurzen Übung hängt von einer weitaus größeren Formalität ab, als zuerst ersichtlich. Die sehr subtile Para-Rhytmen ‚Türschwelle‘ und ‚Stille-Lücke‘ unterstreichen die Folgerung des Gedichts in einer unauffälligen, aber sehr effektiven Weise. Die Vereinigung des Suchenden und Gott ist der krönende Moment des Lebens des Suchenden und der Poet will die absolute Ernsthaftigkeit dieses Moments keinem Risiko aussetzen. Dementsprechend hat er sein Gedicht auf 4 übereinstimmenden quarternären Füssen gegründet:
choriamb / x x / ionic minor x x / / choriamb / x x / ionic minor x x / /
Sobald Gott deine Türschwelle erreicht, Bete zu seinen Füssen in jeder Stille-Lücke.
In dieser Lesart ist der Iktus in der ersten Zeile mehr auf ’sobald‘, denn auf ‚Gott‘, was die Gewissheit seiner Ankunft verstärkt.
Die 2. und 4. Zeile sind beide aus einem Pyrrhus, gefolgt von einem Spondeus, komponiert. Dies gibt zusätzliches Gewicht auf die 2 Schlüsselzusammensetzungen des Gedichtes ‚Türschwelle ‚ und ‚Stille-Lücke‘. Wenn wir das Gedicht genau untersuchen, dann können wir einen Rahmen bestehend aus Vielfachen aus 4, sehen: es gibt 4 Zeilen, 4 metrische Füsse, 16 Silben, 8 Akzente. Nur wenige Poeten schreiben mit dieser Art metrischer Präzision, und es ist nicht etwas das Sri Chinmoy regelmäßig anwendet— aber die Formalität des Rhytmus mit seinem bedachten Gerüst reicht diesem kleinen Gedicht zum Segen. Es widespricht jeder Annahme das die Ankunft Gottes Zufall, ein Randereignis ware. Es versichert uns, daß es sich um etwas handelt, das schon vor langer Zeit feststand.