Ich weiß, warum Gott mich so nahe an ihn herankommenlies; Weil ich meine Herz-Rose zu seinen Füßen gelegt habe.
(10 Oktober 2005)
Dieses Miniaturgedicht, übersättigt mit präzisen und ungeschmückten Monosilben, kommt durch die Antwort auf eine Frage, die außerhalb des Gebildes steht. Sich als von Gott Ausgewählter fragt sich der Suchende, wie er zu solchen Ehren kommt. Dieser Poem ist sein privates Manifest, sein Moment der Erkenntnis. Der Poet reflektiert diesen plötzlichen Anflug von Verständnis durch den Aufbau des Gedichts auf einen anapästischen Durchmesser. Die beschleunigte Bewegung jeder Zeile von schwachen zu einer einzigen starken Silben atmet Energie in die symbolische Aktion des Poets:
Weil ich ihm meine Herz-Rose zu Füßen lege
Die Stärke des Gedichts zieht sich hin bis zum Ende, wo der Poet eine Spondeus in der Form eines zusammengesetzten Substantives ‚Herz – Rose‘ einsetzt. Dieses zusammengesetzte Substantiv ist das einzig beschreibbare Element und hat somit das gesamte Gewicht der Bedeutungsabsicht des Poeten zu tragen.
Sri Chinmoy hätte sagen können ‚meines Herzen Rose‘ oder ‚mein rosiges Herz‘ oder eine andere ausgefeiltere Formulierung zur Verbindung der Wörter wählen können. Doch stattdessen wählt er die Gewichtung gleichmäßig auf beide Wörter zu verteilen und damit keines dem anderen unterzuordnen.
Es ist dieses zusammengesetzte Substantiv, welches das Gedicht von einer rein konkreten und literarischen Ebene auf eine mystische erhebt. Wenn das Herz des Suchenden einer Rose gleich ist, dann deutet dies an, das er Gott etwas außergewöhnlich Schönes und Wohlriechendes darbietet. Jeder Leser muß für sich selbs entdecken, was diese Qualitäten sind, ob nun Liebe, Hingabe, Anmut, Selbstaufgabe, Schönheit und so weiter. Das ist die verhüllte Mystik des Gedichtes.
Was Sri Chinmoy geschaffen hat, ist im Endeffekt, ein Gedicht aus verschiedenen Bildern – gelegt, Füße, Rose und dann den Bildern jede literarische Interpretation entzogen, so daß wir gezwungen sind diese symbolisch zu lesen. Die Hinweise sind wie in einer Art rhytmischen Kurzschrift in jedem starken anapästischen Takt zu finden. Auf viele Weise ist Sri Chinmoy`s Gedicht in höchstem Grade durch seinen Austausch zwischen Gott und Mensch beruhigend. Die Niederlegung einer Rose vor einem heiligen Bild oder einer Statue ist uns vertraut. Doch denken wir uns so oft die Göttlichkeit, die in einem Stein oder Holz innewohnt, als kalt und gefühllos. Wir trauen uns nicht, uns vorzustellen, das Gott unsere Darbietungen auf persönliche Weise erhält. Sri Chinmoy porträtiert einen Gott, der zutiefst gerührt durch die Darbietung einer Rose den Suchenden näher an sich zieht, er bindet den Suchenden an sein eigenes universelles Herz. Die kleine Darbietung des Menschen scheint nur ein Tropfen im Gegensatz zu Gottes überwältigender Antwort zu sein.
Wie in vielen anderen Aspekten des spirituellen Lebens macht uns Sri Chinmoy glauben, daß die schwersten Dinge in Wirklichkeit am einfachsten zu erreichen sind. Was ist es schon Gott unsere Herz-Rose darzubieten sagt er uns. Jede Person kann es machen. Und was ist das Ergebnis ist, wissen wir, Gott zieht und näher an sich, als wir jemals zu träumen gewagt haben. Dadurch bestärkt uns Sri Chinmoy’s kleines Gedicht auf vielfältige Weise. Warum nicht auch wir, fragen wir uns. Es stellt auch die herrausragenden Reserven an Bedeutung heraus, die er mit seinen scheinbar einfachen und transparenten zusammengesetzten Substantiven hervorrufen kann. Er nutzt diese mit einem Befreiungseffekt, um uns unsere Aufmerksamkeit auf etwas sehr Spezielles zu richten. Es würde Seiten von Prosa brauchen, um angemessen die spirituelle Wahrnehmung eines Suchenden, der sich voll Gott hingegeben hat, angemessen zu beschreiben. Sri Chinmoy erreicht dasselbe mit einem bloßen Bild: die Niederlegung einer Rose zu Füßen Gottes.